Karäer-Straße – „Die kleine Stadt“

Karaimų Str. Trakai
GPS: 54.64501, 24.93580


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Die Stadt Trakai ist seit altem für das erfolgreiche Zusammenleben verschiedener nationaler und religiöser Gemeinden bekannt. Aus diesem Grund kann man noch heute in der Stadt die unterschiedlichen architektonischen Traditionen entdecken. Dies ist eine der größten Einzigartigkeiten von Trakai.

Eine weitere Außergewöhnlichkeit, die Touristen nach Trakai lockt, ist die Gemeinde von Karäer. Es ist zweifellos eine einzigartige Nation der türkischen Sprachgruppe, die an einen Zwischenzweig des Judentums glaubt. Es wird angenommen, dass die Lehre der Religion von Karäer im 8. Jahrhundert in Mesopotamien gebildet wurde. Als sie nach Trakai kamen, haben die Karäer ihre Traditionen, ihren Glauben, ihre Bräuche und vor allem ihre Sprache mitgebracht und über die Jahrhunderte hinweg bewahrt. Aus diesen Gründen kann man sagen, dass Trakai die karäische Hauptstadt ganz Litauens und sogar der ganzen Welt ist.

Alles begann, als etwa 1398 Jahre nach der siegreichen Schlacht auf der Krim der Großfürst von Litauen Vytautas etwa 380 karäische Familien nach Trakai verlegte. Dadurch bildeten sich in Trakai zwei Gruppierungen der Karäer, die sich mit zwei unterschiedlichen Aktivitäten beschäftigten: Soldaten und Zivilisten. Die Soldaten bewachten die Burg und die Brücke zur Inselburg. Interessanterweise waren sogar einige der zivilen Karäer Schriftsteller und Übersetzer des Großfürsten.

Die Mehrheit der karäischen Zivilisten bearbeitete jedoch das Land, baute Gemüse an, beschäftigte sich mit kleinen Handwerksberufen, war im Handel tätig, verwaltete die Kneipen, mietete staatlichen Zoll und übte andere wichtige Aktivitäten aus, wie zum Beispiel die Vermittlung, wenn es notwendig war, Gefangene des Großfürstentums Litauen von Türken zu erlösen.

Im Laufe der Zeit gewannen die Karäer das Vertrauen von Vytautas dem Großen und anderen litauischen Herrschern. Als Dank vergaben diese an die karäische Gemeinde bestimmte Privilegien. Eine davon ist das Recht von Magdeburg (Stadtrecht). Dafür gibt es ein hinterlassenes historisches Zeugnis aus dem Jahre 1441. Diese Privilegien, die der Herrscher Casimir IV Jagiellon den Karäern gewährte, bildeten eine Ausnahmesituation in der Geschichte der litauischen Stadtverwaltung: Mehrere Jahrhunderte lang gab es in Trakai zwei getrennte Gemeinden, die dem Magdeburger Recht unterstanden.

Eine davon ist die sogenannte Kleine Stadt oder der karäische Wohnviertel der Stadt. Dieses Privileg behandelte die Gemeinde als unabhängige Stadt mit eigenem Siegel und eigener Schatzkammer. Hier konnten die Karäer ihre eigenen Gotteshäuser bauen, in denen sie ihre Religion – den Karaismus – bekennen konnten. Karaismus ist ein Wort mit einer tiefen und interessanten Bedeutung, da es vom semitischen Wort „Krieg“ abgeleitet ist (Bedeutung: die Heilige Schrift – das Alte Testament „zu lesen“, „zu verherrlichen“ und „zu studieren“, und ein Unterstützer und Nachfolger zu sein. Die Karäer pflegten fleißig ihre Kultur, Traditionen und Bräuche.

Die Karäer-Straße selbst sah damals ganz anders aus als heute. Sie führte zum höchsten Punkt des Hügels – in der Mitte. Auf beiden Seiten befanden sich die karäischen Gehöfte: Neben der Straße stand das Wohnhaus, dahinter – Nebengebäude, hinter diesen waren Gärten, die zum Ufer des Sees hinabstiegen. Durch die Gärten am See wirkte die Landschaft auf der anderen Seite des Sees sehr offen und leer, denn die Wohnhäuser konnte man nur am höchsten Punkt der Landschaft zu sehen.

Heutzutage können Sie in der Karäer-Straße die einzige Ausstellung in der Europäischen Union besuchen, die die Kultur dieser Nation widerspiegelt. Hier befindet sich das älteste karäische Gebetshaus  Litauens – Kenesa – das eines der drei weltweit noch funktionellen Gebetshäuser der Karäer darstellt. Die Einwohner und die Besucher der Stadt können die Kenesa täglich besuchen und bewundern.

Zu der Zeit, als die Karäer ihre Häuser bauten, wurde diesen Häusern eine Einzigartigkeit hinzugefügt, die noch heute sichtbar ist. Alle traditionellen karäischen Häuser besitzen drei Fenster zur Straße. Der Legende nach beschloss Vytautas nach dem Sieg in der Schlacht von Grunwald, allen Ausländern zu danken, die an der Schlacht teilgenommen und ihm zum Sieg verholfen haben. Die Tataren durften sich in Vilnius niederlassen und am Platz Lukiškės in Vilnius eine Moschee bauen.

Nach den Tataren waren die Karäer an der Reihe. Ein alter Karäer kam zu Vytautas.

  • Herrsche lange, weiser und gerechter Herr!
  • Fremder, ich danke für deine Treue – antwortete der Großfürst – jetzt bist du an der Reihe, für dein Volk um deine Treue und deinen Mut einen Gefallen von mir zu erhalten. Ich werde alles erfüllen, was in meiner Macht steht.
  • Ich weiß, Großfürst, dass dieser Sieg sehr schwer war und wir alle noch lange zum Heilen brauchen. Ich werde nicht um Gold, Silber oder Land bitten – Sie haben uns schon belohnt. Und hier ist unsere Bitte. Lassen Sie uns unsere neue Häuser in der Kleinen Stadt mit drei Fenstern zur Straßenseite bauen.

Vytautas war überrascht, eine so ungewöhnliche Bitte zu hören und fragte:

  • Habt ihr nur dafür eure Leben riskiert?
  • Nein, Großfürst – antwortete der alte Mann – nicht deshalb, sondern um Frieden, denn schlechter Frieden ist immer besser als gute Kriege. Und unsere Bitte bedeutet, dass jeder, der ein Haus mit drei Fenstern sieht, wissen soll, dass darin Gott angebetet wird, wir dem Großfürsten immer treu sind und Gäste immer willkommen sind.

Vytautas gefielen die Worte des alten Mannes sehr und er gab für ihre Treue die Erlaubnis nur den Karäern, in Trakai neue Häuser mit drei Fenstern zu bauen.


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